In meinem ersten Artikel unserer kleinen Serie zur Haltung von europäischen Landschildkröten habe ich dir die artgerechte, naturnahe Haltung in Freianlagen beschrieben. In diesem Artikel möchte ich auf die häufigsten Haltungsfehler eingehen, die leider immer noch zuhauf in tierärztlichen und Praxen von Tierheilpraktikern auftauchen.
Die Gründe liegen in einer falschen Beratung der abgebenden Stellen (insbesondere Zoohandlungen) und einem Informationsdefizit seitens der Halter. Werden solche Fehler über ein paar Jahre praktiziert, können diese zu schlimmen gesundheitlichen Folgen bei Landschildkröten führen. Einige dieser Folgen sind irreversibel und können sogar tödlich enden. Da Landschildkröten aufgrund reptilientypisch fehlender Mimik und Lautäußerungen nicht auf ihre Beschwerden aufmerksam machen können, leiden sie häufig jahrelang und werden häufig viel zu spät in den Praxen vorgestellt.
Terrarienhaltung
Leider wird mitunter noch Terrarienhaltung für Landschildkröten empfohlen. Diese ist in der Regel zu trocken und bietet unnatürlich geringe Temperaturschwankungen. Besonders nachts fehlt eine deutliche Absenkung der Temperatur. In Kombination mit falscher Ernährung und fehlender Winterstarre führt dies zu sogenannten „Dampfaufzuchten“. Die Resultate sind ein viel zu schnelles Wachstum und atypische Gewichtszunahme. Ebenso ergeben sich Panzerverformungen wie die dafür typische Höckerbildung anstelle einer glatten Panzeroberfläche. Auch Dehydrierungen sind nicht selten.
Die von profitorientierten Verkäufern manchmal angepriesenen Wärmesteine oder – matten sind für Landschildkröten völlig ungeeignet und führen zu einer Verdickung des Bauchpanzers (Plastron). Dieser wächst, erfährt er direkte Wärme von unten, schneller als der Rückenpanzer und so kommt es zu teilweise dramatischen Deformierungen der Tiere. Richtig für europäische Landschildkröten ist Wärme von oben. Eine punktuelle Erwärmung von 38-40 °C wird mittels Wärmestrahlern aus dem Reptilienfachhandel erzielt. Im Lebensraum deiner Schildkröte muss es mehrere Temperaturbereiche geben, zwischen denen sie frei wechseln kann. Es müssen auch kühlere und feuchte Stellen zur Verfügung stehen. Dies lässt sich selbst in einem noch so großen Terrarium nicht verwirklichen. Auch der Platzmangel wäre für ein artgerechtes Leben ein Manko, denn gesunde Tiere sind recht agil. Für eine erwachsene Landschildkröte rechnet man 10 m² Flächenbedarf.
All diese Punkte legen nahe, dass nur ein Freigehege eine artgerechte Haltung bieten kann.
Falsche Ernährung
Europäische Landschildkröten sind Vegetarier. Dennoch bekommen sie des Öfteren auch Fleischprodukte wie Hackfleisch oder Katzenfutter gefüttert, was zu schweren Organschäden führt. Obst, Gemüse und Salat haben ebenfalls nichts auf ihrem Speiseplan verloren. Auch wenn deine Schildkröte nur zu gerne Obst naschen würde, begünstigt es die Entwicklung von Darmparasiten, hat eine ungünstige Nährstoff-Zusammensetzung und belastet dein Tier somit.
Auch Gemüse und Salat haben in der artgerechten Fütterung deiner Landschildkröte keinen Platz, denn so etwas finden sie in freier Wildbahn eher nicht. Ihr Verdauungssystem ist deshalb nicht darauf ausgerichtet. Einige Salatsorten können aber notfalls für eine Übergangszeit gefüttert werden, beispielsweise während der Pflege eines kranken Tieres im Winter, wenn kaum natürliche Futterpflanzen zur Verfügung stehen. Durch sein gutes Calcium-Phosphor-Verhältnis eignet sich Romana-Salat ganz gut. Du kannst aber auch Catalogna (italienischer Löwenzahn), Rucola, Endivien und Chicorée verfüttern oder Futterpflanzen wie Golliwoog und Flumi bestellen. Sobald wieder natürliche Nahrung zur Verfügung steht, solltest du darauf umstellen.
Calcium-Phosphor-Verhältnis / Proteinüberschuss
In den Regalen des Tierfachhandels kannst du Futterpellets der verschiedensten Sorten finden. Diese sind zum einen rein künstliche Nahrung und zum anderen in ihrer Zusammensetzung häufig überhaupt nicht kompatibel mit dem Nährstoffbedarf von europäischen Landschildkröten. Wenn du ein bisschen recherchierst, wirst du mit Sicherheit auf das Thema Calcium-Phosphor-Verhältnis stoßen, welches in der Nahrung deiner Landschildkröte mindestens 2:1 betragen sollte. Ein höherer Calciumgehalt ist wünschenswert. Ein schlechteres Calcium-Phosphor-Verhältnis kann vielfältige Probleme im Organismus deiner Schildkröte verursachen. Der offensichtlichste ist ein mangelhafter Knochenaufbau bis hin zum Knochenabbau.
Auch ein Proteinüberschuss schädigt die Gesundheit deiner Schildkröte. Der Proteingehalt des Futters sollte 10 % nicht übersteigen. Zu viel Protein kann zu Leberverfettung, Nierenproblematiken und Gicht führen. Natürlich kann nicht jeder Schildkrötenhalter tief in die Biochemie der Ernährung einsteigen. Aber dieses Hintergrundwissen erweist sich für die Schildkrötenhaltung insofern als wichtig, dass du bestimmte, ungünstige Futtermittel (z. B. Industriefutter, Gemüse, Obst, Salat) weglässt und Futter mit einer günstigen Zusammensetzung wählst.
Übrigens: Ein besonders kalkhaltiger Boden erhöht den Anteil an Calcium in den darauf wachsenden Pflanzen. Viele Schildkrötenhalter nutzen daher Kalksplitt oder -schotter als Untergrund von Teilen ihrer Freianlagen.
Natürliche Nahrung
Eine passende Zusammensetzung erreichst du mit der Fütterung an unterschiedlichsten Wildkräutern. Eine kleine Liste verfütterbarer Wildpflanzen findest du in meinem ersten Artikel. Industriefutter füllt ausschließlich die Kassen der Händler, aber du tust deiner Schildkröte mit dem Kauf nichts Gutes. Das Gleiche gilt für sämtliche im Handel verfügbaren Nahrungsergänzungsprodukte (und übrigens auch für die komplett unnötigen, ja sogar schädlichen Panzerpflegeprodukte wie Panzeröle und -cremes, welche die Poren des Panzers verstopfen).
Lass lieber weniger Geld beim Händler, denn Futter für deine Schildkröte findest du in der Natur reichlich. Frische Wildkräuter und -blüten, Gräser, im Sommer auch Wildkräuterheu, frei verfügbare Sepiaschalen für die Calciumversorgung – und deine Schildkröte ernährt sich richtig. Auch dem Stichwort „rohfaserreiche Ernährung“ wird bei dieser Fütterung entsprochen. Dies ist wichtig für den Verdauungstrakt, aber auch für die Abnutzung der Hornscheiden des Kiefers. Dieser bildet bei zu weicher Ernährung häufig einen sogenannten „Papageien- oder Hakenschnabel“ aus. Das kann soweit führen, dass eine Futteraufnahme unmöglich wird.

Ein zu schnelles Wachstum durch falsche oder Überernährung sowie fehlende Winterstarre ist unnatürlich und schwächt die Schildkröten letztendlich. Ich fand bei meinen Recherchen den Ausdruck: eine gesunde Schildkröte „hungert sich groß“. Das mag drastisch klingen, aber in der freien Wildbahn ist es tatsächlich so, dass die Tiere einen Großteil des Tages unterwegs auf Futtersuche sind. Dabei finden sie hauptsächlich relativ energiearme Nahrung in Form von Wildkräutern. Die Energie, die sie aufnehmen, setzen sie auch gleich wieder in Bewegung um. Da unsere privat gehaltenen Landschildkröten in den allermeisten Fällen nicht so viel Platz wie freilebende zur Verfügung haben, schränkt das ihre Bewegungsmöglichkeiten drastisch ein. Wenn sie dann auch noch energiereiches Futter bekommen, sind unnatürlich schnelles Wachstum und Übergewicht vorprogrammiert.
Fehlende Winterstarre (Hibernation)
Die mehrmonatige Winterstarre ist ein unverzichtbarer Bestandteil des artgerechten Lebens einer europäischen Landschildkröte. In dieser Zeit wird der Stoffwechsel deiner Schildkröte auf ein Minimum heruntergefahren. Dies wirkt regulierend auf den gesamten Organismus und sorgt dafür, dass – bei auch ansonsten guten Haltungsbedingungen – dein Tier nicht zu schnell wächst, der Hormonhaushalt im Gleichgewicht bleibt und sich ein gesundes Immunsystem entwickeln kann.
In der Winterstarre wächst deine Schildkröte nicht. Ein übermäßiges Wachstum im Jugendalter würde Skelett und Organsystem über die Maßen beanspruchen, was sich negativ auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirkt. Daher ist es für Landschildkröten wichtig, von Anfang an in Winterstarre gehen zu können, auch schon im ersten Lebensjahr. Für die Winterstarre sehr junger Schildkröten wird teilweise eine Verkürzung der Dauer empfohlen: im ersten Lebensjahr reichen etwa zwei, im zweiten etwa drei Monate.
Durch eine fehlende Winterstarre kann der Hormonhaushalt empfindlich gestört werden, so dass weibliche Tiere unfruchtbar werden können. Nicht, dass ich für eine Vermehrung der ohnehin bei uns in großer Zahl gehaltenen Reptilien plädieren würde, dennoch sind solcherart künstlich hervorgerufene Hormonstörungen schädlich für die Gesundheit.
Es hat sich herausgestellt, dass auch in diesem Bereich eine größtmögliche Anlehnung an die natürlichen Lebensbedingungen im natürlichen Lebensraum (Habitat) der Tiere ideal ist. Willst du deiner Schildkröte ein wirklich artgerechte Leben bieten, solltest du alles vermeiden, was den natürlichen Lebensrhythmus des Tieres stört.

Fehlende UV-Quelle
Die Aufnahme von UV-B-Strahlen ist lebensnotwendig für Landschildkröten, da sie daraus Vitamin-D3 bilden. Erst damit kann das aufgenommene Calcium in Panzer und Knochen eingelagert werden. Wird deine Schildkröte artgerecht in einem Freigehege mit Sonnenplätzen gehalten, reicht die natürliche Strahlung der Sonne aus, um den Bedarf zu decken. Bei kranken Tieren, die kurzzeitig in einem Übergangsterrarium gehalten werden, müsste zusätzlich zum Wärmestrahler ein hochwertiger UV-Strahler beigeschaltet werden. Dieser sollte UV-A- und UV-B-Frequenzen abdecken.
Die UV-A-Strahlen fördern Aktivität und in geringerem Maße auch die Vitamin-D3-Synthese deiner Schildkröte. Sie wirken sich positiv auf Stoffwechsel und Immunsystem aus.
Ist die UV-Versorgung nicht gewährleistet, drohen Schäden am Knochensystem wie Knochenerweichungen und Deformationen. Es gibt Bilder von „flachgewachsenen“ Schildkröten, deren Panzer hinten eingesackt ist. Das kann zu vielfältigen Problemen führen. Weibliche Tiere können so u. U. nicht zur Eiablage gelangen, außerdem steht den Organen im Bauchraum nicht genügend Platz zur Verfügung.
Manche Frühbeete/Schildkrötenhäuser bestehen deshalb aus UV-durchlässigem Material.
Wechsel zwischen Terrarien-/Wohnungshaltung und Freilandgehege
Ich plädiere absolut für die Freilandhaltung von europäischen Landschildkröten. Daher will ich den stundenweisen Aufenthalt im Freien hier nur kurz erwähnen. Manche Schildkrötenbesitzer halten ihre Tiere im Haus und geben ihnen tagsüber in der Sommersaison durch morgend- und abendliches Umsetzen Gelegenheit zu einem stundenweisen Aufenthalt in einem Freigehege. Für Schildkröten bedeutet das Hochgehobenwerden und Entreißen aus der jeweiligen Umgebung leider erhöhten Stress, der sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken kann.
Falsche medizinische Beratung
Es gibt in Deutschland bislang nur wenige wirklich reptilienerfahrene Tierärzte/Tierheilpraktiker. Da die Gesundheit von Reptilien aber eine sehr spezifische Problemstellung mit sich bringt, hilft es nichts, sie jemandem ohne Reptilienspezialiserung vorzustellen. Das kann im Zweifel sogar mehr schaden als nutzen. Wenn du selbst keinen ausgebildeten Fachmann finden kannst, frag doch bei einer Auffangstation für Landschildkröten nach, die dir sicherlich jemanden empfehlen können. Ein paar Stationen sind am Ende des ersten Artikels unserer Serie aufgelistet, schau dort gerne nach.
Fazit
Im Optimalfall informieren sich Schildkröteninteressenten vor Aufnahme eines oder mehrerer der faszinierenden Reptilien über die optimalen Haltungsbedingungen und können so häufige Fehlerquellen vermeiden.
Tipp: Auch eine Haltungsberatung durch einen reptilienspezialisierten Tierarzt oder Tierheilpraktiker kann im Vorfeld hilfreich sein. Übernimmst du ein Tier aus einer Auffangstation, so werden dir die Betreuer gerne beratend zur Seite stehen.
Welch dramatische Folgen Haltungs- und Ernährungsfehler für die Gesundheit von Landschildkröten haben kann, wurde auf diesen Seiten fotodokumentiert:
Resultate von Haltungsfehlern bei griechischen Landschildkröten
Haltungsbedingtes Fehlwachstum bei Griechischen Landschildkröten
Hast du vielleicht eine Schildkröte mit einer problematischen Vergangenheit?
Welche Schwierigkeiten ergeben sich daraus? Wenn Du magst, erzähle doch uns und unseren Lesern in einem Kommentar davon.
Vielleicht kannst du uns sogar einen reptilienerfahrenen Tierarzt/Tierheilpraktiker deines Vertrauens empfehlen. Wir würden uns freuen!
Ich habe eine griechische Landschildkröte, die jahrelang nur im Terrarium gelebt hatte,übernommen. Die hatte nie Winterstarre, geschweige Sonnenlicht gesehen.der Unterkiefer u und der Panzer waren stark deformiert.q Leider ist sie nach zwei Jahren trotzdem gestorben.🤔 LG